Vor 2 Wochen bekomme ich Post. Vom Finanzamt auf diesem Papier, was so aussieht, als ob das aus einer 500 Jahre alten Schatztruhe entnommen wurde, du weiß schon. Der Text ist auf den ersten Blick auf überschaubar kurz. Ich überfliege ihn … ok, erstmal weglegen. Zu kompliziert für zwischendurch.
Paar Tage später widme ich mich diesem Brief nochmals, jetzt mit voller Konzentration. Ich lesen ihn, und nochmal, und nochmal. Ok, ich habs verstanden. Eigentlich total easy. Eigentlich.
Warum schreiben dies nicht so, dass ich’s direkt verstehe? Die Aussage ist mega simpel. Warum machen die so vielen Menschen das Leben so schwer?
(Und warum schicken dir mir für sowas nicht einfach eine Mail - oder eine WhatsApp. Ich scanne den Brief eh und schmeiße das Original weg, … ok anderes Thema.)
Parallel zu der Geschichte mit dem Finanzamt-Schreiben lese ich ein Buch. Paradoxerweise zum Thema Einfachheit. „Simplicity“ von John Maeda - Die 10 Gesetze der Einfachheit. So einfach ist das nicht mit der Einfachheit, weil unsere Welt nunmal nicht einfach ist und dabei ist das Behördendeutsch noch die kleinste Herausforderung. Oftmals hört man in diesem Zusammenhang den Begriff VUCA, der in sich schon schwierig zu verstehen ist bzw. erstmal erklärt werden muss. Ich möchte an dieser Stelle lediglich das „A“ erwähnen. Das A steht für Ambiguität, also Mehrdeutigkeit. Genau das, was der Text des Finanzamtes vermeiden will, er darf eben keinen Spielraum für Interpretation liefern.
Und irgendwie nervt es uns, diese übertriebene und pedantische Präzision. (Ok, mit uns meine ich einen Großteil von uns …). Es fühlt sich seltsam an, für etwas fast triviales so komplizierte Sätze verwenden zu müssen. Die innere Stimme schreit: SAGS DOCH EINFACH, MAN!
Wir haben eine Sehnsucht nach Einfachheit. Einfache Dinge fühlen sich wie eine kleine Oase der kognitiven Entspannung an, oder nicht? Mein aktuelles Lieblingsbeispiel: Ich war über einige Jahre BMW-Fahrer und habe hin und wieder BMWs im Konfigurator zusammengestellt. Falls du das noch nicht gemacht hast, mach es mal. Wie viele Schritt, wie viele Varianten und vor allem wie viele Abhängigkeiten? Um hier die Übersicht zu behalten, lege ich mir also parallel eine Excel-Tabelle an, die in Frage kommenden Varianten dokumentiert:
Sorry, aber WTF! In meinem Fall ging es schlimmstenfalls um einen 3er. Für 7er Käufer werden Händler nie aussterben … wobei, verstehen die Händler das alles überhaupt? Ich liebe Gebrauchtwagen, da ist das alles schon erledigt.
Wie fühlt sich im Gegensatz dazu der Tesla-Konfigurator an, sagen wir für einen Model 3?
Das ist eine Oase der kognitiven Entspannung. Bitte mehr davon!
Und hier kommen wir zu einem kommunikativen Problem unserer Zeit. Auf der einen Seite eine komplexer werdende Welt mit neuen Technologien, Geschäftsmodellen, Finanzflüssen und Denkweisen und auf der anderen Seite müssen wir dennoch präzise bleiben, damit wir verstanden werden. Vielleicht sogar umso präziser werden. Nicht umsonst also wird Ambiguität in VUCA erwähnt.
Es ist eine Balance, die uns leider selten gelingt. Eine Balance zwischen zu hohem Interpretationsgehalt und mechanischer Sprache. Beispielsweise zwischen dem Begriff „Digitalisierung“ und „Anwendungsprogrammierschnittstelle“ (vorausgesetzt, man meint diese in im Zusammenhang). Zu abstrakt vs. zu präzise.
Das ist grundsätzlich kein neues Phänomen, ich habe nur das Gefühl, dass es immer häufiger auftritt. Insbesondere die Flucht in die Abstraktion ist für mich oftmals ein Zeichen der Überforderung. Dinge einfach machen heißt eben nicht immer nur abstrahieren. Viele sprechen über Digitalisierung, alle nicken am Tisch, fast niemand weiß, was genau gemeint ist. Das Resultat ist, dass wir eigene Interpretationen schaffen und schon ist Digitalisierung ein Synonym für Breitbandausbau, zumindest aus Sicht der Politik (um nur ein Beispiel zu nennen). Dass Digitalisierung doch etwas mehr ist, zeigt uns gerade Corona sehr eindrücklich.
Nicht anders verhält es sich, wenn Unternehmen kommunizieren: Natürlich sind alle agil und effizient, schaffen Synergien und die Fähigkeit zur Skalierung, kreieren neue Geschäftsmodelle und nutzen Daten zum Wettbewerbsvorteil. Ich denke, dass das in den meisten Fällen stimmt (mal mehr mal weniger). Es geht nicht darum, dass gelogen wird. Breitbandausbau gehört auch zur Digitalisierung, das ist ja korrekt.
Es geht nur darum, dass Menschen die das lesen interpretieren müssen und so auch mal falsch abbiegen könnten. Und Menschen, die das einfach mal rausposaunen auch nicht wirklich helfen können. Sie wissen oft selber nicht genau, was sich nun hinter effizient oder skalieren wirklich und vor allem konkret verbirgt.
„Was heißt das Wort genau für mich?“ Kann unter Umständen eine tödliche Frage sein. Zumindest wenn sie ehrlich gestellt und ehrlich beantwortet wird.
Resultat ist nun, dass unsere Kommunikation irgendwie anstrengend ist. Wir können uns selten etwas unter dem was wir sagen vorstellen. Stattdessen rattern Wörterbücher mit Abstraktionsbegriffen in unseren Köpfen. „Was für ein Buzzword kann ich jetzt noch raushauen?“ Wo bleibt hier die kognitive Entspannung?
Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen effektiv und effizient? …
Von meinem Mentor Frank Asmus habe ich etwas sehr entscheidendes gelernt:
Gute Kommunikation beginnt bei innerer Selbstklärung.
Wenn ich so darüber nachdenke ist das einer der wichtigsten Sätze für mich und meine Arbeit überhaupt.
Die Strategie heißt also Reflexion: „Was will ich eigentlich sagen?“ Anstatt es sich einfach zu machen und nach einem passendem Abstraktionsbegriff zu suchen.
„Was will ich eigentlich sagen?“ kann natürlich heißen: „Was machen wir eigentlich genau?“ oder „Wie können wir dir genau helfen?“ oder jede andere Frage, die dabei hilft innere Selbstklärung zu schaffen.
Der Erfolgsfaktor in der Reflexion und damit auch der Kommunikation liegt nun darin, dass wir uns gedanklich in konkrete Situationen begeben, die das Widerspiegeln, was wir sagen wollen. Je konkreter und je häufiger, desto besser.
Beispiel:
Ich google mal „Effizienz und Digitalisierung“ … ok, erstes Ergebnis:
Die Industrie-, Innovations- und Management-Beratung. Potentiale erkennen, Potenziale erschließen, Potentiale sichern.
Hat ja nicht lang gedauert. Ich versuche mal auf der Homepage rauszufinden, das die Jungs und Mädels eigentlich genau machen. Tricky, denn die Homepage besteht nur aus Text. Ich zeig dir mal einen Screenshot.
Buzzword gefilterte Facts, die ich auf der Homepage finde. Natürlich kann ich nur die Homepage als Quelle nehmen, die ich erst seit ein paar Minuten kenne:
Ah hier, kurzer Blick über Referenzen, es ist größtenteils produzierend, nicht nur.
Was machen die jetzt eigentlich? Natürlich muss ich spekulieren, aber das ist das, was ich verstehe:
Sie helfen mit ihrer Beratung mittelständischen Unternehmen dabei, dass Mitarbeiter und Abteilungen im gesamten Unternehmen besser zusammenarbeiten. In der Regel sind die Berater (vermutlich) 3-6 Monate in einem Betrieb, schauen sich alles genau an und erarbeiten Pläne, wie Teams besser zusammengesetzt werden sollten und wann und wie Teams miteinander sprechen sollten. Kurz Organisation und Prozesse. Die Berater schauen sich auch an, welche Informationen in der Produktion erfasst werden müssten und welche Auswirkungen sie auf Teile, die gesamte Produktion oder sogar das Unternehmen haben. Womöglich schauen sie sich auch die Produktpalette und den Markt an, allerdings ist das eher sekundär. Sicher ist allerdings, dass auch verwendete IT-Systeme betrachtet werden. Es kann sein, dass es geeignetere Systeme gibt, als die, die eingesetzt werden. Selbstverständlich wird in IT-Projekten unterstützt, wenn Systeme angepasst oder ersetzt werden müssen.
Nur damit wir uns richtig verstehen, das ist noch kein Text, den ich eins zu eins so auf die Homepage schreiben würde, hier müsste ich ein wenig feilen. Allerdings könnte ich ihn so oder so ähnlich schon auf der Tonspur verwenden. Für mich ist er viel klarer, als die gesamte Homepage.
Und falls du dich jetzt wieder fragst, um welches Unternehmen es geht. Google einfach. Ich will niemanden hier an den Pranger stellen. Denn wenn das Unternehmen Kunden glücklich macht, machen sie sicher sehr gute Arbeit, allerdings ist die Kommunikation deutlich verbesserungsfähig. Das geht sehe ich leider bei sehr vielen Unternehmen.
Jetzt höre ich oft das Argument, wir sprechen ja mit Experten. Stimmt. Und was heißt das jetzt? Einfache Kommunikation ist nicht gleich unprofessionelle Kommunikation. Einfache Kommunikation heißt on Point zu sein. Mittlerweile bin ich vermutlich auch Experte für den BMW Konfigurator. Ich mag ihn trotzdem nicht, es ist eben anstrengend. Auch Profis lieben kognitive Entspannung. Die Professionalität geht in meinen Augen in dem Beispiel oben nicht verloren, wenn die Kommunikation mit Überzeugung und einer professionellen Haltung durchgeführt wird.
Noch ein ganz einfacher Tipp am Ende, den du direkt umsetzten kannst. Gehe vom Spezifischen zum Allgemeinen.
Ich habe das im Text oben einmal bewusst eingesetzt:
Spezifisch:
…erarbeiten Pläne, wie Teams besser zusammengesetzt werden sollten und wann und wie Teams miteinander sprechen sollten.
Allgemein:
Kurz Organisation und Prozesse.
Noch besser funktioniert der Tipp, wenn du im spezifischen Teil eine super konkrete Story erzählst. Eine Story, die beispielsweise exemplarisch für die Arbeit eines Beraters ist. Ein konkreter Berater mit einem Namen, der 3 Monate bei einem Kunden war. Wie sah das Büro aus? Was hat der Kunde produziert? Wo war die Herausforderung des Kunden? Wie lief das Projekt? Welche Emotionen waren im Spiel? Angst? Verzweiflung? Freude? Was hat das Projekt am Ende gebracht? Messbar? Emotional?
Kognitive Entspannung eben. Stories sind einfach zu verstehen, einfach zu folgen.
Und nach der Story sagst du: „Wie ihr seht, wir machen Unternehmen mit Digitalisierung effizienter.“ Ohne die Story geht das nicht.
Das Resultat: Keine Interpretation. On Point.